Da zog Netflix also mit grosskotzigen 34 Nominationen in den Kampf und HBO nur mit schwächlichen 12. Und wer verlor? Nicht HBO! Die HBO-Serie «Succession» wurde an den Golden Globes nämlich zur besten Serie der Welt gekürt. Danke, liebe Golden Globis aus der Jury!
«Succession» bietet alles, was man von einer Serie will: Menschen mit und unter Einfluss. Ein Clanchef, der seine Kinder frisst. Degeneration durch Macht. Geld, Gier, Drogen, Sex, unheimlich schnelle, smarte Dialoge, unglaublich darke Abgründe. Ein ätzendes, elegantes Königsdrama im New Yorker Medienmilieu der Jetztzeit. Zwei Staffeln gibts davon schon, die erste ist perfekt, die zweite perfekter. Wie schön, dass Brian Cox in der Rolle des Patriarchen den Golden Globe als bester Seriendarsteller einheimste.
Auch die Kategorie «Miniserie oder TV-Film» ging an HBO, an «Chernobyl», die fesselnde Fiktion über das Reaktorunglück von 1986. Und wer sich angesichts von «Chernobyl» fragt, von wem denn der exzellente Soundtrack stammen könnte – komponiert hat ihn die Isländerin Hildur Guðnadóttir, die am selben Abend einen Golden Globe für ihre Filmmusik zu «Joker» gewann.
Die Golden Globes kennen ein eisernes Gesetz: Wo ein Skarsgård nominiert ist, gewinnt auch einer. Vor zwei Jahren war es Alexander für seine Rolle in der HBO-Serie «Big Little Lies» (das auch jetzt wieder mehrfach zur Wahl stand), heuer war es sein Vater Stellan für seine Rolle in «Chernobyl».
Und was macht unterdessen Netflix? Setzt auf Spielfilme! Will an den klassischen Filmfestivals und Award-Zeremonien präsent sein! Cannes, Venedig, die Oscars. Sind das nicht anachronistische Vehikel einer längst abgehängten Kunst? Offenbar nicht. Offenbar bringen sie noch immer so viel Pomp, Prestige und Promotionsmöglichkeiten, wie man sie mit Serien ausserhalb der Emmys und der Golden Globes nicht kriegen kann. Nach gut zwei Jahrzehnten des globalen Serienkults ist dies doch eine einigermassen erstaunliche Einsicht.
Im Kampf um den besten Film stritten sich am Sonntag gleich drei Netflix-Produktionen: «The Irishman» von Klassiker Scorsese, «Marriage Story» vom ewig hippen Noah Baumbach und «The Two Popes» von Fernando Meirelles.
Und das Resultat war: ein Golden Globe für Laura Dern als fiese Scheidungsanwältin in «Marriage Story». Und ein einziger weiterer Preis in der Serienabteilung: Die letztjährige Oscar-Preisträgerin Olivia Colman siegte als Queen in «The Crown». Bei 34 Nominationen dürfte dies die magerste Ausbeute seit Netflix-Gedenken sein. Zuneigung geht anders. Offenbar hatte sich die Jury nicht mit den adretten schwarz-goldenen Netflix-Badelatschen bestechen lassen, die in Beverly Hills allenthalben gesichtet wurden.
Was bedeuten die Golden Globes nun allgemein für die Oscars? Nichts Prickelndes. Die Oscars werden heuer sehr solide. Mit erwartbaren Gewinnerinnen und Gewinnern, gegen die nicht allzu viel einzuwenden sein wird. Aber es wird in der Nacht vom 9. auf den 10. Februar nichts grundsätzlich Neues von der Westküste Amerikas zu berichten sein.
Angenommen, die zehn Filme, die in den Kategorien Drama und Musical or Comedy um die Globes kämpfen, wären wieder für die Oscars nominiert – so wäre kein einziger von einer Frau. Realistischerweise wird aber wohl einer der zehn durch Greta Gerwigs «Little Women» ersetzt werden, die auch noch eine Topchance auf das beste adaptierte Drehbuch haben dürfte. Eine einzige Frau also. Okay.
Joaquin Phoenix («Joker») und Renée Zellweger («Judy») dürften für die besten Hauptrollen gesetzt sein. Für Phoenix und Zellweger wäre es bereits die vierte Nominierung, für Zellweger gar der zweite Oscar. Wesentlich erfrischender wären da Adam Driver («Marriage Story») und Saoirse Ronan («Little Women») . Allerdings wäre es für sie auch schon die vierte und für ihn die zweite Nominierung.
Was auch für Sam Mendes mit seinem Globe-Gewinner, dem Erstweltkriegs-Epos «1917» gilt. Niemand würde dem Ex-Gatten von Kate Winslet und Regisseur von «American Beauty», «Revolutionary Road» und «Skyfall» im Ernst seinen zweiten Regie-Oscar verübeln, und auch Quentin Tarantino ist mit drei Golden Globes für «Once Upon a Time in Hollywood» für den einen oder andern Oscar prädestiniert. Eine Überraschung geht natürlich anders. Eine Überraschung wäre Todd Phillips («Joker») oder Greta Gerwig oder Gerwigs Lebensgefährte Noah Baumbach.
Netflix wird wieder sehr präsent sein, aber vermutlich preislos bleiben, wenn nicht auch da Laura Dern beste Nebendarstellerin wird. Awkwafina, die als erste asiatisch-amerikanische Schauspielerin den Golden Globe für «The Farewell» entgegen nahm, wäre allerdings die interessantere Wahl.
Apropos «The Farewell», der bei den Globes in der Kategorie bester fremdsprachiger Film nominiert war: Am 13. Januar werden die Oscar-Nominationen verkündet, und wer sich vor der längsten Nacht von Hollywood noch etwas richtig Besonderes gönnen will, soll sich auf die Kategorie «Best Foreign Language Film» stürzen. Da dürfte es heuer nämlich weit spannender und brillanter zu und her gehen als unter den besten englischsprachigen Filmen. Die Kandidaten dürften mit grosser Wahrscheinlichkeit «The Farewell» (ein Streitfall allerdings, ob dieser unter den englisch- oder fremdsprachigen Filmen ins Rennen gehen wird), «Parasite», «Les Misérables», «Dolor y Gloria» heissen. Und das wären tatsächlich ein paar ungemein sehenswerte Filme.
Der Rest wird ... ... ... (wann geht die nächste Staffel «Bachelorette» wieder los?)
Oscar-Nominationen: 13. Januar.
Die Oscars: In der Nacht vom 9. auf den 10. Februar. Wie immer live bei uns – mit Anna Rothenfluh und Simone Meier
Ein toller und erfrischender Artikel, danke.